Pädagogisches Konzept
Allgemeine Ziele
Die zukünftigen Entwicklungen stellen uns lokal und global vor große Herausforderungen. Die Ener-giekriese, der Klimawandel, die (weltweite) gerechte Versorgung mit gesunden Lebensmitteln oder grundlegende Fragen der Gerechtigkeit erfordern ein bewusstes, demokratisches und engagiertes Handeln, um folgenden Generationen und Menschen in allen Teilen der Erde jetzt und in Zukunft eine gute Lebensperspektive zu bieten. Um diesen großen Herausforderungen angemessen begeg-nen zu können, bedarf es einer konkreten Haltung und eines spezifischen Wissens über die ökologischen, ökonomischen und sozio-kulturellen Zusammenhänge. Die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Instrument, um diesen Herausforderungen zu begegnen.
Auf dem Hof Wessels gehen wir davon aus, dass wir durch konkrete und lokale Handlungsschritte, durch praktisches Tun, durch Erleben und Reflektieren und das Thematisieren von Fragen der Nachhaltigkeit, mit unseren Bildungsangeboten einen Beitrag leisten können, Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Handlungs- und Gestaltungskompetenzen zu vermitteln, mit denen sie aktuellen und zukünftigen Herausforderungen begegnen können.
Grundlagen auf dem Hof Wessels
Das Gelände des Hofes bietet zahlreiche Möglichkeiten, Bildungsangebote im Rahmen der BNE umzusetzen. Der Hof wurde 2000 von der Hertener Bürgerstiftung erworben, um dort einen Ort der beruflichen, ökologischen, ökonomischen und sozialen Bildung aufzubauen. Die pädagogische Arbeit des Hofes Wessels wurde 2004 um den Bereich der außerschulischen Umweltbildung erweitert. Aus dem Bereich der Umweltbildung hat sich inzwischen der Ansatz zu einem erweiterten Bildungsangebot im Kontext der Bildung für nachhaltige Entwicklung etabliert.
Ein Anliegen der pädagogischen Programme auf dem Hof ist es, Menschen für den Umgang mit der Natur zu sensibilisieren, Unsicherheiten im Umgang mit Erde, Pflanzen, Tieren und einfachen Handwerkzeugen abzubauen, Interesse zu wecken und Wissen, Zielgruppen- und Handlungsorientiert, zu vermitteln.
Standards und Hintergrund unserer pädagogischen Arbeit
Neben den Angeboten für Erwachsene und Familien (siehe weiter unten) sind ein Schwerpunkt unserer pädagogischen Arbeit Angebote für Kindergruppen, Kindertagesstätten und Schulen. Wir unterstützen in unseren pädagogischen Programmen Kinder, Jugendliche und Erwachsene dabei, BNE-Kompetenzen aufzubauen, begleiten Kitas und Schulen, deren BNE-Konzepte in Kooperation mit uns auszuschärfen, helfen diesen Bildungseinrichtungen mit uns als außerschulischem Partner, BNE-Netzwerke auf- und auszubauen und richten BNE gerechte Fortbildungen für MultiplikatorenInnen aus.
Die Tätigkeiten auf dem Hof im Rahmen der verschiedenen pädagogischen Programme zielen darauf ab, das eigene Tun (in der Natur, im Garten, auf dem Feld, im Stall) in einem größeren, globalen und sozialen Zusammenhang zu sehen und zu reflektieren.
Ausgangspunkt für diesen Ansatz ist das Erleben und der Umgang mit der Natur. Ohne eine intensive Verbindung zur Natur, zu natürlichen Werkstoffen, zu Pflanzen, Tieren, zur (anstrengenden) Arbeit mit den Händen ist auch eine Reflexion über die Bedeutung des Erhaltens der natürlichen Lebensgrundlagen nur schwer möglich.
Kinder und Jugendliche haben, vermittelt über die Medien, ein meist diffuses Wissen über die Bedrohung der Natur durch den Klimawandel. Was einen nachhaltigen Lebensstil ausmachen könnte, ist ihnen nicht immer deutlich. Das Wissen über einen voranschreitenden Klimawandel führt in der Regel nicht automatisch zur Veränderung des Lebensstiles, des Konsumverhaltens und der Einstel-lung zur Natur und Umwelt.
Um mit den Herausforderungen der Zukunft umzugehen, bedarf es vielschichtiger Kompetenzen, die im Zusammenhang mit der Bildung für Nachhaltigkeit erfahren und geübt werden können. Wir orientieren uns hierbei an der Kompetenzen nach Gerhard de Haan (2008).
Sach- und Methodenkompetenz Sozialkompetenz Selbstkompetenz
Folgende Teilkompetenzen stehen abhängig von Alter, Herkunft, Entwicklungsstand, Vorer-fahrungen der Teilnehmenden im Mittelpunkt in unserer Bildungsarbeit
• Weltoffen und neue Perspektiven integ-rierend Wissen auf-bauen
• Vorausschauend denken und handeln
• interdisziplinär Erkenntnisse gewinnen
• Risiken, Gefahren und Unsicherheiten erkennen und abwägen können • Gemeinsam mit anderen planen und handeln können
• An Entscheidungsprozessen partizipieren können
• Sich und andere motivieren können aktiv zu werden
• Zielkonflikte bei der Reflexion über Handlungsstrategien berücksichtigen können • Die eigenen Leitbilder und die anderer reflektieren können.
• Selbstständig planen und handeln können
• Empathie und Solidarität für Benachteiligte zeigen können
• Vorstellungen von Gerechtigkeit als Entscheidungs- und Handlungsgrundlagen nutzen können.
Wie können aber Kinder und Jugendliche vorausschauend denken und handeln lernen, Risiken und Gefahren erkennen und abwägen, neue Perspektiven und Wissen aufbauen oder mit anderen in Planungsprozesse und Handlungen kommen sowie dabei sich und andere motivieren – um nur einige der oben aufgeführten Kompetenzen aufzugreifen?
In unseren pädagogischen Angeboten versuchen wir, diesen Kompetenzerwerb zu integrieren.
Die Kinder und Jugendlichen erlangen im Rahmen unserer zielgruppendifferenzierten Angebote ein erstes Wissen über die Bedeutung des behandelten Inhaltes. Sie können herausarbeiten, wie wichtig es ist, vorrausschauend nachzudenken und das eigene Handeln einzuordnen, indem auch Risken, Gefahren und Unsicherheiten erkannt und benannt werden. In vielen unserer pädagogischen Angebote geben wir den Anstoß, den Lerngegenstand von verschiedenen Perspektiven aus interdisziplinär zu betrachten, damit unsere Teilnehmenden eine Basis erlagen um eigenständig analysieren, beurteilen und letztendlich gestalten zu können.
Unsere Programme finden immer in sozialen Kontexten statt. Die Lerngruppen organisieren sich dabei zum Teil selbst, stimmen ihre Tätigkeiten untereinander ab, dabei reflektieren sie über ihr Vorgehen, treffen partizipativ Entscheidungen um sich und andere zum Handeln zu motivieren. Dabei werden die Sozialkompetenzen der einzelnen Teilnehmenden und das Handeln als Gruppe gestärkt.
Uns geht es nicht darum, Kindern/Jugendlichen und Erwachsenen angesichts der globalen Probleme und der Klimaveränderungen in Sorge zu versetzen, sondern ihnen positiv erste Schritte aufzuzeigen, wie sie selbst etwas gestalten, verbessern und verändern können um sich selbst als Handelnde erfahren zu können. Ohne bestimmte Lösungen vorzugeben, machen wir Handlungsangebote und regen zum Nachdenken über Lösungsansätze an. Die Teilnehmenden reflektieren in diesem Zu-sammenhang eigene und andere Leitbilder.
Die Befähigung zur Handlungs- und Gestaltungskompetenz ist in allen unseren Programmen ein zentrales Motiv und kann in den verschiedenen Bereichen unseres Hofes, im Gemüsegarten, bei der Pflege der Tiere, beim Kennenlernen der Bienen, beim Ernten auf dem Acker, beim handwerklichen Tun erlebt werden.
Wir sehen unsere Arbeit im Kontext der 17 nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Natio-nen (SDG) und der Leitlinie BNE in NRW. Dort heißt es:
„BNE-Lernprozesse zielen auf die fachliche und überfachliche Entwicklung von Wissen und Fähig-keiten ab, die es Schülerinnen und Schülern ermöglichen, ihre mögliche Rolle in einer Welt komplexer Herausforderungen zu reflektieren, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen, eigene Handlungsspielräume für einen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Wandel zu erkennen und sich trotz Widersprüchen, Unsicherheiten und Zielkonflikten aktiv und kreativ an Aus-handlungs- und Gestaltungsprozessen zu beteiligen.“ (Leitlinie BNE NRW 2019, S. 12)
Neben diesem Anspruch der Leitlinie BNE, den wir uns zu eigen machen, und den Kompetenzen nach Gerhard de Haan haben wir uns bei der Erarbeitung des pädagogischen Programmes für den Hof Wessels intensiv mit der Reggio-Pädagogik auseinandergesetzt und unser Handeln u.a. an diesem Ansatz orientiert. Die Reggio-Pädagogik sieht im Umgang der Kinder mit der Umwelt und anderen Menschen selbst die besten Möglichkeiten für ein ganzheitliches, individuelles Lernen und Wachsen. Diese Haltung lässt sich optimal mit der Bildung für nachhaltige Entwicklung verknüpfen. Die wertschätzende und empathische Haltung gegenüber allen Menschen, der Natur und den Tieren, die wir mit unserer Arbeit vorleben, ist Grundvoraussetzung für unser pädagogisches Handeln (vgl. Schäfer 2009).
Erwerb von Kompetenzen und Methoden
Der Kompetenzerwerb in unseren Angeboten soll die Teilnehmenden befähigen, Lösungen für komplexe Problemsituationen zu finden. Neben dem Wissenserwerb geht es dabei um die Wahrnehmung von Haltungen, Gefühlen und Werten, die bei uns vor allem durch praktisches Tun auf dem Hof innerhalb verschiedener methodischer Settings ermöglicht werden.
In folgenden Inhaltsbereichen werden auf dem Hof Wessels diese Kompetenzen erworben:
• Biodiversität und ökologische Landwirtschaft
• Natur- und Umweltschutz
• Gesunde Ernährung / Lebensmittel
• Nachhaltiger Konsum und Verbrauch
• Klima / Klimawandel
• Wasser / Energie
In unseren Angeboten sind wir in den Dimensionen Ökologie und Ökonomie zentral aufgestellt. Kultur, Soziales und Politik spielen in verschiedenen Angeboten eine vertiefende Rolle.
Die Methoden werden je nach Altersstufe und Bedarfen der jeweiligen Lerngruppe eingesetzt. Die Einteilung in die Kompetenzbereiche ist nicht trennscharf.
Im Folgenden eine Auswahl unserer Methoden
Experimentieren, Vermuten, Überprüfen, kleine Versuche durchführen, Beobachten, Wachstumsprozesse, Verhalten von Tieren, Pflanzen, Problemlösen, Lösungen für eine Aufgabenstellung, ein Problem finden, Gesprächskreis zu Fragestellungen und Impulsen, Bildimpulse, Fragen durch TN und Leitung, Arbeit an Stationen, Zeichnungen erstellen und besprechen, Sich informieren (Bücher, Bestimmungsbücher digitale Medien, Internet, Bestimmungs-Apps), Rollenspiel, Pro-Contra-Diskussion, Diskussionsrunden, Mitbestimmung, Auswahl, Beteiligung, Partnerarbeit/ Gruppenarbeit, Erstellen von Handlungsprodukten, Spiele in und mit der Natur, Lernspiele, Bewegungsspiele, Lernen durch Bewegung und Tun, Kooperative Lernformen, Aufgaben und Verantwortung in der Gruppe übernehmen. Präsentieren (von Ergebnissen) Reflexionsgespräche , Etwas erstellen, heranziehen, pflegen, produzieren, Backen, Schnitzen, Pflanzen, Binden, Versorgen/Füttern, Besprechen von Dilemmata, Perspektivwechsel, Leitbilder analy-sieren, multiperspektivische Betrach-tung , Konsumentscheidungen reflektieren und begründen, Clustern, Graffit-Methode, Fixieren von Lernprozessen auf Plakaten, Flipcharts u.a.
Struktur unserer Angebote
In unseren Aktionen, Seminaren und Veranstaltungen sind wir nah an unseren Teilnehmenden (Kinder/Jugendliche/Erwachsene) und in einem kontinuierlich regen Austausch. Wir nehmen Fragestellungen und Kommentare auf, Konfliktformulierungen sind erwünscht, die Evaluation der Veranstaltungen ist fester Bestandteil des Programms, all dies trägt zur Vielfalt unserer Angebote bei.
Die Struktur unserer Angebote beinhaltet folgende Schritte:
• Begrüßungskreis: Vorstellung, Programmablauf, Gelände/Gebäude wichtige Informationen.
• Einstieg: Themenvorstellung unter Einbezug der Vorkenntnisse der TN, Herausarbeiten der jeweiligen Fragestellung im BNE-Bezug und Zielformulierung.
• Hauptteil: Die praktische Erfahrung findet selbstständig und kooperativ in Kleingruppen statt. Hier arbeiten die Teilnehmenden handlungsorientiert dem jeweiligen Thema entsprechend.
• Abschluss: Die angeleitete Zusammenfassung und Reflexion des gemeinsam Erlebten und Erfahrenen findet statt. Die Zielformulierung wird „überprüft“, ein Wissenstransfair und Alltagsbezug in die eigene Lebenswirklichkeit findet statt.
• Evaluation: Mittels Fragebögen (für Kinder, erwachsene Teilnehmende und Einrichtungen) werden Rückmeldung erfasst und ausgewertet, Reflexion im pädagogischen Team und Selbstreflexion finden regelmäßig statt. Dies alles hat Einfluss auf Themenfindung, Durchführung, Überarbeitung und Inhalt unserer Arbeit.
Zielgruppen
In unterschiedlichen Formaten bieten wir für alle Altersgruppen Bildungs- und Erfahrungsangebote an. Für unsere pädagogischen Programme sind Kinder und Jugendliche aus Kitas und Schulen aller Schulformen die zentrale Zielgruppe.
1) Auf dem Hof Wessels werden für Schulen (Grundschulen, Förderschulen, Schulen der Sekundarstufe I und II und Berufskollegs) sowie für weitere Bildungseinrichtungen (Kitas) zahlreiche Aktionen, Programme und Projekte angeboten:
• 3 bis 8-stündige Workshops/Unterrichtstage
• ein- oder mehrtägige Angebote
• Angebote, die sich regelmäßig über ein Jahr erstrecken (bis zu 20 Termine im Jahr)
• Angebote, die sich kontinuierlich über vier Grundschuljahre erstrecken
(4x in jedem Schuljahr)
• SchülerInnen Akademien
2) Weiterhin richten sich Angebote an Familien, Kinder, Jugendliche außerhalb eines schulischen Kontextes:
• Geburtstage
• Freizeiten
• Ferienworkshops
• Freie Gruppenangebote
• Feste
3) Projekte, Seminare, Fortbildungen für Erwachsene (Lehrkräfte, ErzieherInnen, MultiplikatorInnen, Interessierte) im Rahmen der Arbeit als BNE-Regionalzentrum. Ergänzend mit externen Referenten bzw. Referentinnen und Einrichtungen (wie NUA und Regionalzentren im Regierungsbezirk Münster).
• 3 bis 8-stündige Workshops und Fortbildungen
• ein- oder mehrtägige Angebote
• Angebote, die sich regelmäßig über ein Jahr erstrecken
• BNE Module
4) Feste und Veranstaltungen (offen für alle Bürger)
5) Angebote in Kooperation mit anderen Einrichtungen und Bildungspartner
Unsere Angebote finden zum Großteil in Präsenz auf unserm Gelände statt, daneben bieten wir digitale Formate und Aktionen an externen Standorten an.
Qualitätssicherung
Das Hof Wessels Team besteht aus Erzieherinnen, Wildnis- und Erlebnis-PädagogInnen mit unterschiedlichen Zusatzausbildungen im Bereich der Natur- und Waldpädagogik. Zudem gehört zu unserem Team ein pädagogischer Landwirt und eine Mitarbeitende ist in der Ausbildung zur BNE-Pädagogin.
Um in der pädagogischen Arbeit aufmerksam zu bleiben, neue Impulse hineinbringen zu können, Handlungsweisen zu hinterfragen und zu reflektieren, nehmen die Pädagog:innen regelmäßig an Fortbildungen und Veranstaltungen zu unterschiedlichen BNE-Thematiken teil und tauschen sich regelmäßig innerhalb des Teams aus. Zusätzlich wird der Austausch mit Pädagoginnen und Pädagogen aus anderen Regionalzentren, schulischen Einrichtungen sowie Fachberatungen und den Austausch mit Kooperationspartnern (u.a. Arbeitskreis BNE im Kreis Recklinghausen, BNE trifft MINT) wahrgenommen.
Literatur:
de Haan, G. (2008). Gestaltungskompetenz als Kompetenzkonzept der Bildung für nachhaltige Ent-wicklung. In: Bormann, I., de Haan, G.: Kompetenzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, S. 23-44.
Schäfer, Gerd E. (2009): Die Reggio-Pädagogik in der Bildungstradition. In: Helen Knauf: Frühe Kindheit gestalten: Perspektiven zeitgemäßer Elementarbildung, S. 47–59. Stuttgart: Kohlhammer. 2009.
Leitlinie BNE NRW, Heft 2012, Düsseldorf 2019
Stand, Februar 2023